Unterwegs mit Fietsen zwischen Feldern und Grachten

Von Fähnchen, Röllchen und Töttchen...und was man sonst noch so unterwegs zwischen Niederrhein, Holland und Westfalen erleben kann.

 

Kevelaer? Klar, Kevelaer. Wer hat noch nicht davon gehört? Wer war noch nicht da?? Wallfahrtsort am Niederrhein. Kaum größer als ein Berliner Kiez, aber ein Selbstbewusstsein, dass das Kopfsteinpflaster sich geschlagen gibt und flach wie Holland wird.

 Nun gut, ein Städtchen mit Flair, schönen Geschäften und einer Konditorei im Schatten der Marienbasilika mit Kännchen draußen und Zitronenröllchen. Zum niederknien. Und die Fähnchen hängen in gelb und weiß über der Einkaufsstraße, als ob sie von unserer Ankunft gewusst hätten und uns begrüßen wollten. Große Freude also, absteigen vom Rad, schlendern, schauen, Kleinigkeiten kaufen, den Nieselregen verfluchen und Kaffee ordern.

 Wir sind am zweiten Tag unterwegs von Düsseldorf nach Apeldoorn und haben uns eine Pause verdient. Gestartet im Schatten des Rheinturms überquerten wir die Rheinkniebrücke mit Regenjacken und Gegenwind. Vor uns lag eine Woche trampeln, mal bei den Holländern reingucken und dann mal schauen, was trotz Corona so möglich ist.

Wir schlängelten uns durch Heerdt, Niederdonk und Büderich, Osterrath und Fischeln nach Krefeld. Auf den ersten Kilometern noch regelmäßig begleitet durch das Dröhnen der Flugzeuge im Anflug auf den Airport DUS über uns, beruhigte sich der Verkehr zu Land und Luft. Die Weite weitete sich vor uns, der Niederrhein, unbekanntes Terrain, obwohl von Hans-Dieter Hüsch so oft beschrieben und besungen.

Überraschungen: braune und weiße Kuschel-Lamas mit großen Augen und überhaupt nicht spuckend; ausgeschilderte Radwege; eine Straßenbahn aus dem letzten Jahrhundert zwischen zwei Städten rumpelnd; ein "Haus Meer" ohne Meer; ein Boot mit Bug und ohne Heck; eine Stadt mit Vergangenheit als "Seidenstadt" aber ohne nennenswerte Gegenwart, eher schaurig, nur zum Weiterfahren animierend.

 Ein paar Kilometer weiter ein entzückender alter Marktplatz, intakte kleine Straßen, lebendiges Miteinander - Hüls, auch Teil dieser vorhin durchfahrenen Stadt, aber Lichtjahre entfernt. Sogar die Sonne ließ sich blicken. Immer wieder luden Cafés zum Verweilen ein, doch das Tagespensum musste geschafft werden - 50 Kilometer von der Landeshauptstadt nach Geldern, und da mussten unterwegs erst auch noch die Kerken durchfahren werden: vorbei an Siebenhäuser, Kühe rechts, Kühe links, Maisfelder voraus, über Aldekerk, Nieukerk und Kerken, Wiese rechts, Schafe, Wiese links, Kühe, Wiese voraus. Und fast an jeder Straßenecke eine Gärtnerei oder eine Baumschule. Windräder in der Ferne, Autobahnen kreuzten hin und wieder über uns hinweg, störten aber nicht.

Kühe muhten, Schafe blökten, der Wind blies, der Regen nieselte, Geldern stieg aus der Ebene empor. Eine kleine beschauliche Innenstadt und eine Überraschung in Gestalt des Ratskellers. Die Räder in der Garage untergebracht, kleines, aber vollkommen ausreichendes Zimmer, hervorragendes Essen, gute Weinauswahl, das Dessert ein Traum - und vor allem: kompetentes Personal. Ist ja unterwegs nicht immer so. Großer Pluspunkt.

Das Frühstück bestätigte den guten Eindruck vom Abend und half uns, die nächsten fünfzig Kilometer anzugehen. Kevelaer, Goch, Kilometer um Kilometer, nur mal anhalten für nen Kaffee. Dann Kleve, Heimat von Joseph Beuys, und es ist, als hätte sich der alte Hasenhüter mit dieser seiner Heimatstadt einen seiner Scherze erlaubt und einen Berg hierhin geklatscht. Hinauf strampeln, hinunter verworrene Radwege, unentspannte Autofahrer - was soll so ein Berg hier am Niederrhein?

Nur gut, dass es alsbald wieder durch ein Waldstück und dann auf die offene Fläche Richtung Rhein ging. Den Deich in Sicht meinte man, das Wasser riechen und Schiffe tuckern zu hören, obwohl das Blödsinn war. Zu weit entfernt. Erst direkt an der Grenze, gelbes Schild mit rotem Balken und direkt dahinter blauweißes Ortseingangsschild und Grenzübertritt in die Niederlande nach Millingen an de Rhijn, sahen wir den Strom. Grau. Träge dahinfließend. Nix golden und Wein und so. Schade. Muss er irgendwo unterwegs verloren haben.

Die Unterkunft im mit Reet gedeckten B&B mit zauberhaften Gastgebern, dicken Hauskatern, mit lebhaftem Begrüßen in großer offener Küche entschädigte dann für erste Blessuren am Sitzfleisch. Alsbald als Teil der Familie einbezogen, fühlten wir uns schon fast heimisch, schlenderten am Abend durch die Montagsabendbedingt ruhigen Gässchen (nur wenige Lokale haben am Wochenanfang geöffnet).

Grau auch der Morgen trotz üppigem Frühstück bei Jenny und Klaus. Die kleine Fähre erreichten wir nach wenigen hundert Metern, ließen uns über "Old River Rhein" übersetzen und tauchten ein in die grünen niederländischen Niederungen zwischen Rheinarmen, Kanälen, Grachten, Radwegen, Kühen und - oh Überraschung: Zebras im Stall.

Auf dem Weg lag Doernburg, vorher hatten wir nie davon gehört und wollten schon großräumig umfahren, waren dann aber so was von überrascht vom mittelalterlichen Kern der Stadt, den Gassen und Cafés, dem lebendigen Zentrum mit dutzenden kleinen Geschäften. Der Stopp lohnt sich, auch für ein, zwei Tage. Wir jedoch trampelten weiter, vorbei am Hooge Veluwe, dem großen Naturschutzgebiet und Kunstpark mit der Kröller-Müller-Sammlung. Immer wieder auch überraschend und auffällig - die niederländische Architektur, die Häuser, ob jung, ob alt, oft individuell, fast individualistisch.

Und sofort machte das Städtchen seinem Ruf alle Ehre - Radfahrer von links, Radlerin von rechts, von hinten und quer, ratter ratter, klingel klingel. Trotzdem unfallfrei ins Geist-Viertel, Hotel eingecheckt und den Abend genossen. In den nächsten Tagen kreuz und quer durch die Stadt und umliegende Gemeinden. Natürlich mehr als einmal am Principalmarkt vorbeigeschaut, einen Blick ins historische Rathaus ("Westfälischer Frieden von 1648") geworfen, die Lamberti-Kirche mit ihren Wiedertäufer-Käfigen am Kirchturm besichtigt, Dom und Uni und Wochenmarkt und Promenade umkreist, im Botanischen Garten in der Sonne gesessen und die Ruhe genossen.

Und dann der bekanntesten westfälischen Dichterin auf der wirklich sehenswerten Burg Hülshoff einen Besuch abgestattet; das kleine Museum lohnt sich und der Kuchen in der hauseigenen Gastronomie ebenfalls. Die Burg liegt ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und ist schnell zu finden - nur die Ausschilderung ist manchmal etwas kompliziert. Unterwegs hatten wir den Wind von vorn, wie immer, und die Sonne auf der Nase.

Die Stadt wimmelte dann wieder vor Fahrrädern und Fahrräderinnen, Handwerkern, Studentinnen, Beamten, Nonnen, Geschäftsleuten, Touristen. Hier sind wohl immer alle hier auf zwei Rädern unterwegs. Zu Hunderten, ja tausenden standen ihre Vehikel dann auch herum in allen Formen, Farben und Ausführungen und natürlich parkten auch sie überall alles zu - doch im Gegensatz zu den stinkenden Blechkarossen beanspruchen die einzelnen Geräte so gut wie keinen Platz, sind abgasfrei, leise und halten fit.

Wahrscheinlich regt so viel Radfahren auch den Appetit an, so dass es sich der gemeine Westfale und seine Westfälin bei ortsüblichen deftigen Gerichten wie Biersuppe, Töttchen oder Pfefferpotthast samt Pilsken zum Beispiel im "Kiepenkerl" oder bei der Brauerei "Pinkus" (das einzige Altbier Westfalens) gut gehen lassen kann. Wer mal einige Tage gemächlich ohne Hektik verbringen will, ist hier in der westfälischen Hauptstadt auf jeden Fall gut aufgehoben, woll!

Per Intercity ging's zurück nach Berlin, mit Rädern und Gepäck. Und ohne Stau!