Mit dem Rad durch den Elsass und Baden

Cuculus und Ciconia –

zwei selten gewordene Wegbegleiter

 

Seit kurz hinter Straßburg begleitet uns ein Geräusch, dass in Berlin (oder in den Innenstädten jeder anderen Großstadt) wirklich nur selten zu hören ist: die markanten Rufe des cuculus canorus, gemeinhin auch als Kuckuck bekannt. Wir radeln auf ehemaligen Bahntrassen, entlang von Wiesen und Feldern, durch Weinberge und Obstgärten – und immer wieder hallt das charakteristische „Kuckuck“ uns entgegen. Allein diese kleinen Töne aus der Entfernung, dazu der Wind in den Haaren und das surren der Räder auf dem Radwegasphalt lassen uns entspannen. Es ist Urlaub. Radfahren. Genießen.

Eine zweite Begegnung, einige Kilometer nach dem Start unserer Radtour in Offenburg, die uns links und rechts des Rheins, durch Elsass und Baden führen wird, gehört ebenfalls zu den seltenen Erlebnissen der Großstadtbewohner. Klappernd kündigen sie sich an: (Weiß-)Störche. Ciconia ciconia würde die Ornithologin sagen. Auf einem Feld pflügt ein Bauer sein Feld – offenbar eine schöne Gelegenheit für fast ein Dutzend der Langbeiner die aufgeworfenen Erdkrumen nach Essbarem zu durchsuchen. Ein schönes Bild. Später entlang unserer Route werden wir ihren Artgenossen noch häufig begegnen – dann allerdings unerreichbar in schwindelnder Höhe auf Dächern und Kirchtürmen. Morgens sind wir früh um kurz nach sieben Uhr mit bepackten Fahrrädern in Berlin in den Intercity gestiegen. Offenburg ist für uns daher heute sowohl Endstation (der Bahnfahrt) als auch Startpunkt (der Radtour).

Nach ein paar hundert Metern hinaus aus der Stadt, gleich ins offene Feld, entlang der Kinzig Richtung Rhein. Straßburg wird unser erstes Etappenziel sein.

Doch zuvor stoppt ein intensiver Geruch unsere Fahrt: Bratwurst vom Grill – da kann man nicht einfach so vorbei fahren. Ein kleines Reitturnier eines ortsansässigen Vereins liegt direkt an unserer Route. Wir fühlen uns eingeladen, kaufen Wurst und Bier, lassen es uns schmecken und schauen ein wenig den Nachwuchstalenten bei ihrem Reit-Wettkampf zu.

Nun also Straßbourg. Europastadt. Lebendig. Touristenmagnet. Und wir mitten drin. Das Aparthotel in der Altstadt nahe Place Klebér hat alles zu bieten – inclusive feier- und ausgehfreudige Zeitgenossen, die bis morgens um fünf unterm Fenster lärmen. Doch das stört nicht, denn ausgedehnte Besichtigungsspaziergänge entlang der Ill durch die europäische und elsässische Hauptstadt sorgen für gesunden Schlaf. Grachten und Kanäle laden ein, die Stadt entlang ihren Läufen zu Fuß zu erkunden; hinein nach La Petite France, dem Altstadtviertel, Place Klebér, Place Gutenberg, Place Broglie, Place de la République. Natürlich: Münsterplatz und das Straßburger Münster.

Hier stapeln sich die Touristen; deshalb nehmen wir Abstand von Besichtigung und Turmersteigung. Fahren lieber mit dem Rad hinaus zu den Gebäuden der europäischen Institutionen: Parlament, Europarat, Europäischer Gerichtshof. Hier wird das gemeinsame Europa sicht- und erfahrbar.

Und abends dann nach radeln und laufen: Genuss! Elsässischer Wein und deftige elsässische Küche! Was will man mehr, wenn auch noch die Sonne ausgiebig dazu scheint.

 

 


Landpartie mit Abwechslung

 

Baguette, rillette und fromage: so gut ausgestattet machen wir uns nach drei Tagen Stadt hinaus aufs Land. Die längste Etappe nach Riquewihr steht auf dem Programm, fast 80 Kilometer, rauf und runter über Weinberge im wahrsten Wortsinne; der ausgeschilderte Radweg führt uns außerdem immer wieder kreuz und quer in zwar zauberhafte Dörfchen. Doch Muskeln und gute Laune leiden ein wenig unter der Anstrengung. Eine weitere Übernachtung auf halber Strecke, zum Beispiel im pittoresken Obernai wäre sinnvoll gewesen. Jedoch: Dusche, ausgiebiges Abendbrot unter anderem mit einem Schluck selbstgemachten Apfelsafts des charmanten Vermieters, lassen die Welt schon wieder ein wenig versöhnlicher aussehen.

Der Tag hatte ja auch manche angenehme Momente: eine Wiese voll tobender Fohlen, idyllisch an einem Bach gelegen, im Hintergrund ein kleines Dorf mit bunten Fachwerkhäusern. Wie aus dem Bilderbuch. Oder einem Werbeprospekt. Aber diesmal „in echt“!

Ein paar Kilometer weiter hatte ein Oldtimer-Treffen unsere Aufmerksamkeit gefesselt. Citroen DS 21, „Die Göttin“, Citroen 2 CV „Die Ente“ – beide in allen Formen, Farben und Schattierungen, alte Benz, Käfer Cabrio, Triumph, Simca, Peugeot. Es ist ein fröhliches Stelldichein von Automobilverrückten. Wir nehmen uns Zeit, zum Gucken und Staunen, und natürlich für eine Wurst zur Stärkung. Was wir da noch nicht wussten: diese Merguez hat uns sicherlich geholfen, die letzten fünf Kilometer doch auch noch zu überstehen.

1436, 1578, 1622 – die Jahreszahlen über Hauseingängen in Riquewihr beeindrucken. Der bildschöne Ort am Fuße der Vogesen mit windschiefen Fachwerkbauten, bunten Fassaden und Giebeln, seit Jahrhunderten mit dem Weinbau verbunden, ist heute Anziehungspunkt für Touristenmassen. Bus um Bus steuert auf den am Rande des Dorfzentrums gelegenen Platz; tausende von Gästen bevölkern täglich für ein, zwei Stunden das glänzende Kopfsteinpflaster der zentralen Gasse – aber schon am frühen Abend kehrt wieder Ruhe und Beschaulichkeit ein. In der kleinen Gasse, nur wenige Meter abseits des Trubels, bekommen wir wenig davon mit. In einem Teil des alten Gebäudes, wahrscheinlich früher der Stall des Hauses, ist eine zauberhafte moderne Wohnung eingerichtet. Ruhiger Schlaf ist hier garantiert. Bei einem Spaziergang lernen wir ein paar Häuser weiter Alain Engel kennen Er ist Winzer und Fotograf. Wir probieren einen phantastischen Pinot Gris und sind mindestens ebenso begeistert von seinen Fotografien. Weinbau, Winzer, Landschaften, die Tiere der Umgebung, das sind seine Motive. Es lohnt sich, hier einen Blick in sein Atelier zu werfen.

 

Kulturtag und Sonnenbrand

 

Auch in Colmar, unserer nächsten Station, ist die Wohnung in einem alten Fachwerkhaus eingerichtet. Mitten im Zentrum, in Laufweite zu allen Attraktionen der Stadt gelegen. Natürlich: der Isenheimer Altar im MUseum Unterlinden muss besichtigt werden. Es ist schon imposant, was die Meister zu Beginn des 16. Jahrhundert geschaffen haben. Wie auch die gesamte Stadt eigentlich ein Gesamtkunstwerk mit architektonischen Schätzen aus sechs Jahrhunderten ist. Gut erhalten und sehr abwechslungsreich, ein Kleinod, obwohl drittgrößte Stadt des Elsass. Sehenswert auch die Markthalle, die Kanäle des Stadtviertels Petite Venise (Krutenau), die alte Zunftstube der Ackerleute. Hier lässt sich’s leben (obwohl die Gastronomie-Preise ganz schön heftig sind).

Es ist nicht übermäßig weit von Colmar nach Cernay, unserer nächsten Station kurz vor Mulhouse. Doch da die Sonne nun (endlich) herunterbruzzelt, sind auch schnell Nacken und Nase und Stirn verbruzzelt. Ein, wenn auch leichter, Sonnenbrand ist die Folge. Bei dem schönen angenehmen Fahrtwind war das gar nicht weiter aufgefallen. Aber was soll’s, Radfahrer muss man schon an der Gesichtsfarbe erkennen können, oder? Hier ereilt uns auch das Radfahrer-Schicksal – ein platter Hinterreifen. Offenbar zu viel Gewicht auf dem Gepäckträger, eine kleine Straßenkante war zu viel des Guten. Doch Glück im Unglück – keine 500 Meter entfernt ist eine Werkstatt, der Monteur auch gerade vor Ort – und er verschiebt auch noch seine Mittagspause. Juchhu! Nach einer halben Stunde können wir weiter. Ein ordentliches Trinkgeld lässt auch den netten Helfer schmunzeln.

Cernay selbst ist, gelinde gesagt, eine Enttäuschung nach all den fast märchenhaften Winzerörtchen. Ein großer zentraler Platz, fast menschenleer (wo haben die sich nur versteckt? Hier müssen doch über zehntausend Einwohner/innen irgendwo sein?), kaum ein Restaurant oder eine Bar geöffnet – nur die Glocken der direkt gegenüber unserem Hotel gelegenen Kirche bimmeln unaufhörlich. Jede Viertelstunde. Die gesamte Nacht hindurch. Der Priester sei halt eben vollkommen vernarrt in seine Bimmelei, da könne man nix machen, erklärt die Vermieterin achselzuckend mit einem mitleidigen Lächeln. So trostlos der Ort, so modern und schick eingerichtet ist andererseits die Unterkunft. Ein Innenarchitekt durfte sich hier sicherlich austoben. Wir genießen das großzügige Ambiente, finden anschließend doch noch eine offene Gaststätte, machen am nächsten Tag einen Ausflug ins benachbarte, aber fast genauso enttäuschende Mulhouse – und fahren nach zwei Übernachtungen weiter über den Rhein nach Baden.

Über den Rhein hin und zurück

 

Bei Neuenburg überqueren wir den Rhein und kommen nach Müllheim im Markgräflerland. Es sind ja nur ein paar Kilometer, und die Lebensart, Speisen und Getränke sind schon sehr verwandt zwischen Baden und Elsass - doch die Erscheinung der Orte ändert sich rasant. „Schaffe, schaffe, Häusle bauen!“, die Baden-Württemberg-Losung lässt sich hier überall mit Händen greifen. Schmucke, herausgeputzte Ortskerne, lebendige Gastronomie. Wir übernachten in einem zauberhaften Landgasthof mit entzückendem Biergarten und aufmerksamen, umsichtigen und netten Inhabern.

 

Leider bleiben wir nur eine Nacht, es geht weiter durch die Rheinebene, die Rheinauen. Kilometerlang auf dem Deich, ohne jemanden zu treffen. Es ist staubig auf den Pisten, da macht Picknick auf einer grünen Wiese richtig Spass. Frösche quaken, Kormorane und Reiher und allerlei sonstiges Gevögel schreit und fliegt und schnattert durch die Gegend. Wir rollen geschwind dahin und sind zu früh – die Unterkunft in Neuf-Brisach, der alten, von Vauban gebauten französischen Grenz- und Garnisonsstadt, ist noch nicht geöffnet. Also Zwischenstation in Breisach, das uns so gut gefällt, dass wir am kommenden Tag wieder herkommen. Hinauf zum Münster, der weite Blick ins Rheintal, auf der einen Seite zu den Vogesen, auf der anderen zum Schwarzwald, ist beeindruckend. In Neuf-Brisach müssen wir natürlich die Stadt im alten Festungsgraben umrunden, „bestaunen“ die rechtwinklig angelegten Straßen und die im 18. Jahrhundert ausschließlich auf ihren militärischen Zweck hin ausgerichtete Anlage.

Auf dem letzten Etappenstück Richtung Freiburg erwischt uns dann doch noch das miese Wetter. Zappelnass kommen wir in Deutschlands heimlicher Öko-Hauptstadt an, nachdem unterwegs ganze Sturzbäche vom Himmel gefallen waren. Kalte Finger, kalte Füße, nasse Jacke, nasse Hose, nasse Schuhe – und hier sollen die wärmsten und sonnigsten Orte Deutschlands liegen? Unterwegs hatten wir auf halber Strecke dann doch kurz Schutz finden können. Am Himmelfahrtstag richtet der Reitverein Tiengen alljährlich sein Reitturnier aus. Wie gemacht für uns zum Aufwärmen bei Kaffee und Waffeln.

 

Über Freiburg viel zu schreiben hieße irgendwie „Eulen nach Athen tragen“. Es ist einfach schön hier, die bunten Gassen, die entspannten Menschen, der bunte wochentägliche Markt auf dem Münsterplatz, das studentische Treiben, die beschaulich dahinplätschernde Dreisam, der über der Stadt thronende Schloßberg, die behaglichen Biergärten, an jeder Ecke neue interessante Gelegenheiten zum shoppen und gucken und treiben lassen. Selbst die Fußballfans sind hier viel entspannter als anderswo…. Das (Allee-)Hotel mit dem Charme der Vergänglichkeit, vielleicht nur hundert Meter vom Treiben der Altstadt entfernt, mit seinen lustigen, leicht überforderten Senioren am Empfangstresen ist eigentlich eine eigene Geschichte Wert.

 

So gehen zwei Wochen zu Ende, 380 Kilometer sind wir kreuz und quer, hin und her, durch Elsass und Baden gefahren, die Bahn bringt uns zurück vom gemächlichen Freiburg ins wilde Wilmersdorf. Aber: das war sicherlich nicht der letzte Besuch hier im Südwesten der Republik. Wir kommen wieder.