La Serenissima

 …und immer wieder mal: Venedig!

 

Über Venedig schreiben - das ist doch wie Eulen nach Athen tragen, oder? Nun ja, im Prinzip ja, aber es kommt auf den Einzelfall an (wie vielleicht die Hausjuristen von Radio Eriwan sagen würden). Und tatsächlich, in diesem Corona-Frühsommer 2022 ist vieles möglich, sogar: fast allein und träumend durch die Gassen der Lagunenstadt zu schlendern.

Ein modernes Hotel in alten Gemäuern, in einer schmalen Seitengasse nur ein paar Meter vom meist geliebten Fotomotiv Rialto-Brücke entfernt, dient für ein verlängertes Wochenende als Ausgangspunkt.

Und dann biegt man ohne Plan links ab, gibt irgendwann rechts den Düften einer pasticceria nach, erklimmt geradeaus die nächste Brücke, springt und tappst von einer zur anderen der über 100 kleinen Inseln, die zusammen diese Stadt bilden. Rechts, links, im Hinterhof stehend zurück, weiter immer weiter über die von Millionen Fußtritten glänzend polierten Steine zum nächsten Seitenarm, wieder Sackgasse, in einer kleine Bar stärken und weiter immer heiter immer weiter.

Die Stadt ist ja flächenmäßig nicht sehr groß und eigentlich auch überschaubar für Berlingestählte Neugierige. Aber dann doch unüberschaubar, überraschend, Wendungen und Windungen und immer wieder neue Ausblicke anbietend. Und Geschichte verströmend, während an vielen kleinen Stellen klar wird, dass Investoren mehr und mehr die Geschicke in die Hand bekommen - zusammen mit vielen kleinen und großen und auch millionenschweren Chinesen.

Die Stadt hat noch ihre Ruhe jetzt, da die Vorsichtsmaßnahmen gegen die Pandemie noch vieles verhindern und Viele am Reisen hindern. Doch auch in einer solchen außergewöhnlichen Zeit ist die Besucherschlange am Dogenpalast und auf dem Markusplatz beeindruckend, beeindruckend lang. Und abschreckend. Aber: kein Grund zum Hadern, es gibt Alternativen.

Und schon springen die spontan Reisenden auf ein Vaporetto, schippern hinüber nach Giudecca, oder nach Lido oder besuchen kleine Geschäfte auf Murano, um Glasbecher zu erstehen.

Einen Espresso und ein Gelato später werden sie wieder über die Wellen reiten um weiter zu stromern, um einzutauchen und sich der Faszination dieser Stadt hinzugeben. Irgendwann: Gesang. Irgendwie: nichts Ungewöhnliches, eigentlich. Doch dieser Tenor unterhält auf einer Gondelfahrt zahlungswillige Touristen, während der Gondoliere am Heck stehend seine Gondola mit dem langen Ruder, der Remo, und jahrelang geübten Schwüngen sicher durch die engen Kanäle und vorbei an schnelleren Motorbooten manövriert. Verzaubernd.

Am Nachmittag sind plötzlich die Kanäle noch voller als sonst. In langer Reihe streben Boote einem, den Besuchern noch unbekannten Treffpunkt zu, irgendwo im Gewirr der Lagune. Ganze Familien sind in ihren Booten unterwegs, Freundeskreise, kleine Gruppen junger Männer oder junger Frauen, sich zuprostend, Leckereien genießend. Die Fragezeichen bleiben über den Köpfen der Gäste - bis zum Abend, dann ist die Auflösung zu sehen: ein Feuerwerk-Spektakel über den Dächern der Stadt und eine eindrucksvolle Parade von über 1500 festlich geschmückten Booten im San Marco-Becken und im Giudeca-Canale gegenüber dem Dogenpalast künden vom "Redentore"- dem seit über 400 Jahren gepflegten und beliebten Volksfest, damals Ende des 16. Jahrhunderts ausgerufen, weil eine dreijährige Epidemie überstanden worden war. Die Freude wird heute noch geteilt - wie alles in dieser Stadt lange, ja sehr lange Sinn und Bestand zu haben scheint. Ob sich die Welt (oder Teile davon) in 400 Jahren auch an das Ende der Corona-Pandemie erinnern wird?

Venedig zu Fuß, Venedig mit Boot, Venedig mit Lust am Entdecken ohne vorher gefertigtem Plan erlaufen, erfahren, hören, riechen, schmecken, genießen. Und dann noch einen Sonnenuntergang zwischen den alten Gemäuern über einem der Kanäle anschauen - unbezahlbar.